Ulrich Hemel ist seit 2018 Direktor des Weltethos Instituts in Tübingen. Schwerpunkte sind dabei Identitäts- und Begegnungslernen sowie ethische Sprach- und Handlungsfähigkeit im Zeitalter der Globalität. Als Teil des „Projekts Weltethos“ von Hans Küng widmet sich das Institut auf unterschiedliche Weisen folgender Frage: Unter welchen Bedingungen können wir in kultureller, weltanschaulicher und religiöser Vielfalt miteinander auf einer bewohnbaren Erde überleben und unser individuelles wie soziales Leben human gestalten? Wir wollten das in Bezug auf China genauer von Herrn Hemel wissen.
Storymaker: Herr Hemel, wann waren Sie das erste Mal in China und wie haben Sie das Land erlebt? Wie hat es sich aus Ihrer Sicht verändert?
Ulrich Hemel: Zum ersten Mal war ich 1989 in China, vier Wochen nach der Niederschlagung des Aufstands auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Es war eine eher bedrückte, zurückhaltende Atmosphäre. Später war ich häufig geschäftlich dort, vor allem in der Zeit 1997-2000, aber auch später. Was beeindruckt, ist die Geschwindigkeit der Veränderung. Auch wenn nur Wochen oder Monate zwischen zwei Terminen lagen, hatte sich schon wieder viel getan: Neue Bauten, neue Straßen, generell ein großer Zukunftsoptimismus.
Für uns Europäer ist die Kommunikation in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung – worauf kommt es Ihrer Ansicht nach an, wenn man ein so gänzlich unterschiedliches Land verstehen möchte? Ist das überhaupt möglich, ohne die Sprache zu lernen?
Menschen sind Personen, die immer in ihrer Kultur leben. Daher ist eine gute kulturelle Vorbereitung mindestens so wichtig wie das Erlernen der Sprache. Zu verstehen, dass Personen in China auf gute Beziehungen Wert legen, auf ihre Stellung in der Gesellschaft, aber auch auf das Durchsetzen ihrer eigenen Interessen, das ist gar nicht so schwierig. Ein weiterer Schlüssel ist der Respekt. Wenn ich in China zeige, dass ich Achtung vor der chinesischen Kultur habe, dann öffnen sich Türen.
Beschäftigt Sie das Land auch im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit im Weltethos Institut in Tübingen?
Ja, denn wir kooperieren sehr eng mit dem China-Centrum Tübingen, unserem direkten Nachbarn, und ebenfalls ein Institut, das von der Karl-Schlecht-Stiftung gefördert wird. Da gibt es manchmal auch gemeinsame Veranstaltungen. Außerdem interessieren sich doch viele Menschen für direkte Erfahrungen aus China. Da ich in meiner Managementzeit für China verantwortlich war und dort eine Fabrik erwerben und ausbauen durfte, kommt es hier immer wieder zu Nachfragen, zuletzt im Oktober 2021 von einem Unternehmerforum.
Während unserer Arbeit hier bei Storymaker begegnet uns oft die Frage „Wie sind denn die Chinesen?“ – kann man die Frage so pauschal beantworten?
Sie sind ebenso unterschiedlich wie wir. Die Familie spielt eine große Rolle, auch das persönliche Beziehungsgeflecht, zu dessen Teil man aber auch werden kann. Bestimmte Verhaltensregeln sind unterschiedlich, und die politische Situation spielt natürlich auch eine Rolle. Aber am Ende gilt doch: Menschen sind Menschen, unterschiedlich hier und unterschiedlich dort.
Gibt es etwas, was Sie sich für den zukünftigen Dialog mit China wünschen?
Ich habe erlebt, dass auch in China Klarheit und Aufrichtigkeit geschätzt werden. Wir sollten schon deutlich sagen, dass die Achtung der Menschenrechte für uns von großer Bedeutung ist. Zugleich brauchen wir aber die Fairness und die Fähigkeit zur Selbstkritik, wenn wir die Antwort bekommen, dass ja auch in Deutschland und Europa nicht alles Gold ist, was glänzt. Chinesen und Chinesinnen haben einen guten Sinn für gegenseitiges Geben und Nehmen. Das gilt auch für die Kommunikation und den Dialog. Was folglich nicht funktioniert, ist eine überhebliche Haltung des Belehrens, der Besserwisserei und der Arroganz. Aber eine solche Haltung wünschen wir uns umgekehrt natürlich auch nicht.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hemel.