Online Handel in China

Interview mit Tilmann Lesche
Veröffentlicht:
10.5.2023
Aktualisiert:
1.6.2023

Der Online-Handel in China boomt - und das nicht erst seit der Corona-Pandemie. Laut Prognosen wird der Anteil des E-Commerce am gesamten Einzelhandelsumsatz 2023 über 60% betragen. Vor allem im B2B Bereich nahm der Online-Handel in den letzten Jahren stark zu.

Um die Reichweiten auf diesem chinesischen Markt für unsere Kunden zu vergrößern, arbeiten wir bei Storymaker regelmäßig mit Key Opinion Leaders (KOLs) zusammen.

Tilman Lesche, gebürtiger Berliner, ist Gründer eines Bildungsdienstleisters in Berlin und Beijing, sowie Social-Media Influencer mit mehr als 10 Mio. Fans in China. Er lebt seit 2006 in Peking und ist seit 27 Jahren beruflich an der Schnittstelle Deutschland – China tätig. Mit dem Start der Corona-Pandemie und der damit gewonnen freien Zeit im Jahr 2020 hat Tilman Lesche die Gelegenheit genutzt, professionelle Videos auf Chinesisch für ein chinesisches Publikum zu produzieren. Seitdem veröffentlicht er Videos über das Leben in China und Deutschland, sowie Kommentare zu aktuellen Themen, die in China diskutiert werden. Mit seinen eigenen Online-Auftritten und seiner Ende 2021 gegründeten Media-Agentur unterstützt Tilman europäische Marken dabei, ihre Produkte auf chinesischen E-Commerce- und Livestreaming-Plattformen in China zu vermarkten. Wie es ist, deutscher Influencer in China zu sein, was deutsche Marken in China beachten müssen und in welche Richtung sich der chinesische Markt entwickelt, hat er uns in einem Interview erzählt.

„Influencer zu werden ist leicht und schwer zugleich: man braucht nur ein Handy oder eine Kamera und viele gute Ideen für Inhalte. Schwer ist es, die Videos kontinuierlich, interessant und in guter Qualität zu produzieren und wirklich durchzuhalten.“

Unsere 8 Fragen an Tilmann Lesche:

Wie hast du es geschafft, dauerhaft als Influencer in China zu arbeiten und was sind die wichtigsten Themen, über die du als Influencer in China sprichst?

Meine Videos veröffentliche ich auf einem Dutzend chinesischer Video-Plattformen wie Douyin oder Little Red Book (und vielen mehr!) immer unter dem gleichen Künstler-/Accountnamen 德国人Leo乐柏说(Der Deutsche Leo spricht mit Euch). Die veröffentlichten Videos haben einen sehr vielfältigen Inhalt. Ich spreche über kulturelle und gesellschaftliche Themen und Unterschiede, wirtschaftliche und politische Fragen, mache viele Essensvideos und poste Musikvideos von meiner eigenen Band. Nach 9 Monaten hatte ich plattformübergreifend bereits mehr als 1 Mio. Follower und es stieg schnell auf 5 Mio. und jetzt sind es knapp 10 Mio. Mit der wachsenden Followerzahl habe ich auch angefangen kommerzielle Videos für deutsche Produkte (Kärcher, BMW, Lauensteiner Pralinen, deutsche Wurst) und auch chinesische Marken zu produzieren.

Wie wichtig ist es für deutsche Marken und Unternehmen, sich auf chinesischen sozialen Medienplattformen wie WeChat, Weibo und Douyin zu präsentieren und welche Tipps hast Du für deutsche Marken und Unternehmen, die eine Präsenz auf diesen Plattformen aufbauen möchten?

Der Vertrieb von Konsumgütern an chinesische Kunden ohne eine Präsenz auf Social Media macht wenig Sinn. Die Relevanz von e-Commerce und Social-Media, sowohl für die Markenkommunikation, als auch für den Verkauf, ist hoch und steigt mit jedem Jahr weiter an, sodass ein Verzicht hierauf bedeutet, Umsatzpotentiale nicht zu nutzen und hinter anderen internationalen Marken und der lokalen chinesischen Konkurrenz zurückzubleiben. Vor allem deutsche Consumer-Marken sind in vielen Produktbereichen in China deutlich unterrepräsentiert und in der Marktbearbeitung nicht professionell genug. Dadurch gehen Produkte, die in China durchaus großes Potenzial haben, unter und werden von Produkten aus anderen Ländern verdrängt. Ein gutes Beispiel ist hier deutsches Craft-Bier, dass man kaum in China findet. Dafür ist englisches, belgischen oder amerikanisches Craft-Bier in China in jedem Supermarkt zu finden – und dass, obwohl deutsches Bier bei chinesischen Konsumenten ein hohes Renommee genießt.  

Wo siehst du aus deiner Erfahrung die größten Chancen für deutsche Unternehmen in China und welche Branchen oder Produkte haben in China besonders gute Aussichten?

Im Konsumgüterbereich haben vor allem Marken mit Tradition und einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis gute Chancen. Das gilt nicht für Produktkategorien, in denen chinesische Player einfach und schnell Kopien auf den Markt bringen können oder sehr ähnliche Produkte zu günstigen Preisen ohnehin schon auf dem Markt sind. Das macht deutsche Luxusmarken aussichtsreich und Marken, die über besondere USPs verfügen – Autos, Uhren, high-end Möbel und Küchenutensilien und Produkte mit hochwertigem Design (Glas und Porzellan, Schreibwaren usw.).

Was sind die Schlüsselfaktoren für den Erfolg der Zusammenarbeit mit deutschen Marken?

Oft wird bei in Deutschland und Europa erfolgreichen deutschen Marken die eigene Markenbekanntheit in China überschätzt und Unternehmen meinen, das Produkt zu hohen Preisen problemlos verkaufen zu können. Deshalb kann es von Vorteil sein, wenn die deutsche Marke einen sehr erfahrenen Distributor in China hat, der sich auch noch in Social Media auskennt.

Wichtiger Erfolgsfaktor für jede Kooperation zwischen einer Marke und einem Influencer ist, dass die Marke ein klares Briefing mitbringt und geklärt wird, welche Ziele erreicht und welche Messages kommuniziert werden sollen. Dann muss die Marke umgekehrt dem Influencer ausreichend Freiraum lassen, um das Video in Form und Inhalt so auszugestalten, wie es dem Charakter und Stil des Influencer-Kanals entspricht. Ein Influencer-Video ist kein klassisches Werbevideo.  

Gibt es spezielle Marketing-Strategien, die du anwendest, um Produkte effektiv zu bewerben?

Aus meiner Sicht wird Social-Media-Marketing und –Vertrieb nicht nur für Konsumgüter im Bereich B2C, sondern auch für B2B und sogar B2G immer wichtiger. Mit Social-Media lässt sich sowohl eine gute Reichweite für eine Marke aufbauen als auch gezielt Interesse bei branchenrelevanten Multiplikatoren und Entscheidern wecken.  

Hier ist es für deutsche Import-Marken effektiv, wenn sie im chinesischen Online-Markt dreistufig vorgehen:

  1. Verfügbarmachung eines ggf. auch kleineren Sortiments auf mehreren Plattformen wie Taobao/T-Mall, Douyin etc.
    Der erste Schritt ist vergleichbar mit der Einrichtung eines Shops bei Amazon – da müssen potenzielle Käufer aber aktiv nach einem Produkt oder Shop suchen. Deshalb ist ein Shop alleine noch keine Vertriebsstrategie.
  2. Schaffung von Brand-Awareness und Erhöhung der Produktbekanntheit über Short-Videos.
    Den meisten deutschen Marken fehlt in China die Bekanntheit und/oder die Präsenz. Dort setzen Short-Videos an, die überwiegend die Brand-Story oder auch ein einzelnes Produkt zum Inhalt haben. Diese Videos können je nach Situation auch mit Bestell-Links verbunden werden.
  3. Direktvermarktung über LiveStreaming.
    Sobald eine Basis mit Shops und Videos gelegt ist, kann im Livestream aktiv verkauft werden – und dies in Kooperation mit den verschiedensten Influencern oder KOLs (Key Opinion Leaders), wie sie in China meist heißen. Livestreams führen viel eher zu Impulskäufen und haben für die Marke den großen Vorteil, dass nur ein gerade zu verkaufendes Minimal-Sortiment oder sogar nur ein einzelnes Produkt verfügbar sein muss.  

Wie wichtig ist es für deutsche Unternehmen, sich auf den chinesischen Markt und seine Verbraucher einzustellen, und welche Tipps hast du für deutsche Unternehmen, die sich auf den chinesischen Markt vorbereiten möchten?

Das Einstellen auf die chinesischen Verbraucher findet in China weniger auf der Produktebene statt, da chinesische Verbraucher gerade das „deutsche Produkt“ inklusiver deutscher Verpackung und Anmutung und nicht eine „sinisierte“ Variante kaufen wollen. Dennoch muss sich jedes Unternehmen bei der Auswahl des China-Sortiments an chinesischen Vorlieben hinsichtlich Größe, Geschmack oder Farben orientieren und nicht das anbieten, was in Deutschland am besten läuft. In den meisten Produktkategorien treffen deutsche Anbieter auf ein sehr intensives internationales und lokales Wettbewerbsumfeld. Deshalb sind Dinge, wie eine Wettbewerberanalyse oder Store-Checks offline und online sehr wichtig. Dafür braucht man ein lokales Team, das die Vertriebsaktivitäten vor Ort plant, durchführt und deren Wirksamkeit analysiert.

Wie wählst du die Produkte aus, die du in deinen Videos bewirbst und was ist deine Zielgruppe?

Eine kommerzielle Kooperation ist keine Einbahnstraße, die Marke oder manchmal deren Distributor oder KOL wählen sich gegenseitig aus. Zu mir passen Produkte und Marken deutscher und generell internationaler Herkunft. Gleichzeitig achte ich darauf, auch immer chinesische Produkte zu promoten und das in Produktfeldern, in denen sie nicht direkt mit deutschen Marken konkurrieren – in meinem Fall z.B. Bettwaren und anderen Textilien, Kleidung, Snacks etc..

Meine Zielgruppen, sowohl für die Videos als auch das Livestreaming, sind Chinesen mittleren Alters (Schwerpunkt 30-60), die in First oder Second-Tier-Städten in China leben und damit meist auch über ein eher überdurchschnittliches Einkommen verfügen. Meine Videos werden zu zwei Dritteln von Männern angeschaut, Livestreams 70% von Frauen. Käufer sind zu 80% Frauen, denn in Chinas Social-Media sind abgesehen von Alkoholika und Elektronik Frauen die entscheidenden Konsumenten.

Wie glaubst du, dass sich die Influencer-Landschaft in China in den nächsten Jahren entwickeln wird?

Das Influencern als Beruf hat sich in den letzten drei Jahren deutlich professionalisiert. Das gilt sowohl für den Bereich der Short Videos als auch für das Live-Streaming. Das hängt gerade in China mit der unglaublichen Konkurrenz zusammen, denn die eigenen Videos und Livestreams stehen ja nicht für sich, sondern wetteifern mit hunderttausenden oder gar Millionen anderer Videos und Livestreams um die Aufmerksamkeit der Nutzer. Für Marken, die mit Influencern kooperieren wollen, hat dies den Vorteil, dass sie nicht nur aus einer Vielzahl professioneller KOLs auswählen können, sondern dass auch auf Seiten der Social-Media-Plattformen und der Dienstleister-Infrastruktur viel geboten wird.  

Negativ gerade für noch weniger erfahrene deutsche Marken ist die Schwierigkeit, sich in diesem fremden Umfeld zu bewegen – und dies dann auch fast ausschließlich auf Chinesisch – und sie hierbei Startnachteile gegenüber lokalen chinesischen Marken haben, die in diesem Umfeld groß geworden sind. Es bedeutet auch, dass die Kosten beträchtlich sein können. Gleichzeitig sind die Geschäftsmodelle im Social-Media-Vertrieb wegen der sehr guten Quantifizierbarkeit zum Großteil erfolgsabhängig – viele Kosten fallen anders als im klassischen Marketing erst dann an, wenn auch wirklich Umsatz gemacht wurde.

Um auf dem chinesischen Social-Media-Markt Fuß zu fassen und erfolgreich zu agieren, führt für nahezu jeden deutschen Markenartikel der Weg über die enge und langfristige Zusammenarbeit mit einer Agentur für Markenkommunikation – und zwar eine mit lokaler Präsenz bzw. chinesischem Team für die operativen Aufgaben. Nur selten dürften große Marken über die Möglichkeit verfügen, sich ein eigenes Team in China aufzubauen und über Jahre Erfahrungen zu sammeln.

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Theresa Stewart

Director China
t.stewart@storymaker.de