Der CEO von Deutschlands größter PR-Agentur hat Anfang Mai einen Post auf LinkedIn veröffentlicht, der an die „Lieben Virologen“ gerichtet ist: „Jetzt wäre es gut, wenn Ihr wieder in Eure Labore zu Eurer Arbeit gehen würdet. Wir brauchen jetzt keine Angst mehr, keine dramatischen Talkshows und Podcasts ….“.
Seinen Wunsch, schnellstmöglich Business as usual hochzufahren, kann ich gut nachvollziehen. Auch uns trifft die Coronakrise und die Umsätze entwickeln sich nicht wie geplant. Doch deswegen den kommunikativen Einsatz der Virologen zu diskreditieren, finde ich beschämend und kontraproduktiv. Und es wirft ein negatives Bild auf die Kommunikationsbranche.
Fischer-Appelt ist die Nummer Eins im Ranking der PR-Agenturen und hat einen hervorragenden Ruf. Was treibt einen Andreas Fischer-Appelt zu solchen Äußerungen?
Die Virologen, auf öffentliche Auftritte eigentlich nicht vorbereitet, haben die Öffentlichkeit nach bestem Wissen und Gewissen informiert. Wunderbar, wie sie komplizierte Zusammenhänge Massen-TV-tauglich erklärt haben. Auch in Stresssituationen und im für Wissenschaftler eher ungewohnten Format der Talkshows haben sie oft besser bestanden als mancher Politiker. Eine Sternstunde der Wissenschaft und eines verantwortungsvollen Wissenschaftsjournalismus.
Eine kritische Auseinandersetzung darüber, ob das alles richtig ist und das Vorgehen der Medien dabei optimal war, ist fraglos wichtig: Die Medien hätten mehr auf Vielfalt der Informationen achten und andere Fachdisziplinen mehr zu Wort kommen lassen müssen. Da stimme ich Bernhard Poerksen zu . Doch der Dialog muss in gegenseitiger Wertschätzung erfolgen. Wie schnell unachtsame Äußerungen spalten und Menschen komplett ausrasten, musste der von mir grundsätzlich geschätzte Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer erleben.
Die Sicht von Ökonomen und Unternehmen auf die wirtschaftlichen Konsequenzen hat weitgehend gefehlt – meines Erachtens weniger bezüglich des unvermeidlichen Shutdowns, sondern zur Einschätzung der Politik der „offenen Taschen“, die uns länger belasten wird als das Virus. Anstatt über Innovationen zu reden, ging es vorwiegend um Geld. In der Berichterstattung dominierten – wieder einmal – Fehltritte weniger börsennotierter Unternehmen, deren Arroganz größer ist als die Ethik. Macht verleitet zu ihrem Missbrauch. Wir brauchen mehr Diskussionen über Digitalisierung, Datennutzung und High-Tech-Möglichkeiten, auch für einen effektiven Schutz. Eine Krise bedeutet, dass Dinge in Bewegung geraten. Sie ist eine Gelegenheit zu fragen, wie man Neues in Gang und Innovationen vorwärtsbringen kann. Süd-Korea will zum „Digitalen Powerhouse“ werden – was ist die Post-Corona Story von Deutschland? Welches Narrativ singt die Europäische Union?
In der Krise zeigt sich, ob Haltung und Werte nur Kosmetik oder gelebte Kultur sind. Die Kommunikationsbranche kämpft mit dem Misstrauen vieler Menschen, die PR, Marketing und Werbung für Bullshit halten. Umfragen fördern regelmäßig zutage, dass das Vertrauen in ihre Informationen und Botschaften ziemlich gering ist. Äußerungen wie die von Andreas Fischer-Appelt in den sozialen Medien oder das Bild, das die PR-Agentur von Karl Diekmann bei der Heinsberg-Studie abgegeben hat, sind Wasser auf deren Mühlen.
Agenturen beraten ihre Kunden und entwickeln in ihrem Auftrag Kampagnen, die Auswirkungen auf Einstellungen und Bewusstsein haben. Der Berufsstand und die Branche der Kommunikatoren haben eine ähnlich große Verantwortung wie Journalisten, sachlich richtig und auf Basis ethischer Grundsätze zu handeln, wenngleich wir unterschiedliche Rollen in der Gesellschaft haben.
Dialog mit den Stakeholdern ist ein zentrales Element verantwortlicher Kommunikation. Er ist jetzt nötiger denn je, wenn die Wirtschaft mit Perspektiven für die Zukunft aus der Krise hervorgehen soll. Zugleich setzt er den würdevollen Umgang mit Anderen und den Respekt vor den Fakten voraus. Wenn der Chef einer führenden Agentur diskreditierend und mit populistischer Aggressivität auftritt, dann trägt das nicht zu mehr Vertrauen in die Kommunikationsbranche bei.