Ein Treffpunkt in der Nähe unseres Storymaker-Büros in der Schwanthalerstraße in München sollte es sein. Aus früheren Treffen mit Wolfgang Kerler wusste ich, dass der ehemalige Wired.de-Chefredakteur durchaus für Asiatisches zu gewinnen ist. Also schlug ich einen meiner Geheimtipps vor: das uigurische Restaurant Taklamakan direkt gegenüber des Münchner Hauptbahnhofs. Von außen eher eine Dönerbude, doch innen mit den Überraschungen der in Deutschland nicht sehr bekannten uigurischen Küche, die schmeckt, wie man sich das von einer türkischstämmigen Minderheit in China erwartet: einerseits türkisch mit gebratenem Lammfleisch, andererseits chinesisch mit scharf gewürzten Nudeln.
Anlass des Treffens mit Wolfgang Kerler: der Start von 1E9, einer neuen Technologie-Plattform mit Medien-, Community- und Event-Elementen, die Kerler gemeinsam mit Mitstreitern nach dem Aus von Wired.de an den Start gebracht hat. Und die bereits direkt nach dem Start für Aufsehen sorgt. Bei Fleischspießen und kalten Nudeln (Serih Ash Kebab) sprachen wir über die Story hinter 1E9.
Björn Eichstädt: Zuletzt bist Du als Chefredakteur der inzwischen eingestellten Wired.de aufgefallen. Jetzt bist Du einer der Macher hinter 1E9. Wie kam es dazu?
Wolfgang Kerler: Ich hatte bei der Wired noch gar nicht so lange angefangen. Wir haben damals eine neue Content-Strategie mit Fokus auf Zukunftstechnologien eingeführt. Und das lief eigentlich auch sehr gut. Darüber hinaus wollten wir die Wired zu einer Community-Marke ausbauen, da man ja über die Zukunft gut diskutieren kann. Als dann das für alle überraschende Ende der Wired kam, haben wir sehr viele Nachrichten bekommen, enormes Bedauern von den Lesern. Und damit war uns klar: wir müssen weitermachen. Zeitgleich trafen wir noch auf einige aus dem Team, das im letzten Jahr die DAHO.AM Tech Conference in München gestaltet hat, die eine Community um eine neue Veranstaltung bauen wollten. Und irgendwann kamen wir auf die Idee: wieso nicht gleich eine Plattform für alles – Medium, Community, Event.
BE: Gerade seid Ihr live gegangen und man kann bereits erkennen, wie Medium und Community funktionieren werden. Wie auch Beiträge der Community das Magazin inhaltlich befruchten sollen. Das erste Event folgt im Juli in München. Wenn Du in die Zukunft denkst – wo soll 1E9 in fünf Jahren stehen?
WK: Ich hoffe, dass wir unserem Firmennamen gerecht werden, der ist nämlich „1E9 Denkfabrik“. Wir wollen mehr sein als ein Magazin mit Forum und Event. Am besten sollen tausende Mitglieder von 1E9 am Start sein, sich treffen, austauschen und über die Zukunft debattieren. Und am besten auch Dinge konkret miteinander umsetzen, die nach außen strahlen. Wir wollen ein tolles Magazin haben und großartige Events. Und tolle Partner aus der Unternehmenswelt, die allerdings nicht einfach nur simple Banner-Werbung schalten sollen; die wollen wir nämlich gar nicht; sondern die sich als Sponsoren inhaltlich beteiligen. Darüber hinaus möchten wir möglichst viele zahlende Mitglieder haben, denen die Beteiligung tatsächlich auch Geld wert ist. Denn das ist unser Modell für die Finanzierung von wirklich guten Technologie-Inhalten.
BE: Den Rahmen habe ich verstanden. Welches Gefühl wollt Ihr als 1E9 vermitteln? Nerdig, lifestylig, ganz anders?
WK: Ich hoffe, dass wir den Spirit der Wired Deutschland in die Zukunft retten werden. Das Ganze soll ein Zuhause werden für Zukunftsoptimisten. Es wird um tiefen Austausch gehen, das kann dann auch mal nerdig werden, aber wir wollen auf keinen Fall das Heise-Forum ablösen. Es soll ja auch eher darum gehen, Probleme zu lösen, gemeinsam eine bessere Zukunft zu gestalten. Es soll locker und nett zugehen, dabei immer um die Sache gehen. Ich stelle mir das Gefühl des frühen Internets vor, wo man sich noch nett zusammengefunden hat, so ganz ohne Hate-Speech und mit einer Mission. Die frühen Chatrooms der 90er mit den technischen Möglichkeiten von heute.
Gerade ist die zweite Runde Tee gekommen – das klassische Getränk in einem uigurischen Restaurant. Zeit inne zu halten. Ich glaube, Wolfgang Kerler hat recht: wir brauchen das Gefühl des frühen Internets auf einem höheren technologischen Level wieder. Damals, als ich 1994 das erste Mal ins Internet gegangen war, war alles deutlich netter und familiärer. Ein schöner Ort. Diesen wieder zu erschaffen ist ein toller Ansatz mit Potenzial, denn viele Leute da draußen möchten etwas gestalten. Doch jetzt weiter im Gespräch…
BE: Ihr gestaltet Journalismus irgendwie komplett neu. Warum könnt Ihr das und warum tun sich die großen Verlage oft immer noch schwer?
WK: Die klassischen Verlage verfolgen ein klassisches Geschäftsmodell im Netz. Das bedeutet Masse, Reichweite etc. Ganz neue Geschäftsmodelle, die noch niemand erprobt hat, tun sich schwer in solchen Strukturen. Dazu gehört Risikobereitschaft, aber der Branche geht es nicht so gut. Und da sinkt die Risikobereitschaft ganz natürlich. Deswegen sind Start-ups ein Weg und Verlage können solche Ansätze später natürlich gerne adaptieren. Darüber hinaus ist bei uns eben noch speziell, dass wir eher einen „community-powered journalism“ verfolgen; Themen entstehen im Austausch mit der Community. Mit sowas tun sich manche klassische Journalisten vielleicht schwer. Die journalistische Eitelkeit muss hinten anstehen. Früher gab es einfach den Rückkanal nicht in der Printwelt. Den muss man nicht ertragen, sondern aktiv nutzen. Auch da tun sich die klassischen Medien oft noch sehr schwer.
BE: Spannend! Und zu guter letzt: Wie hat es Dir hier beim Uiguren geschmeckt?
WK: Gut! Die Nudeln waren ein bisschen wie Spaghetti, aber mit asiatischer Würze und das Fleisch erinnerte an die türkische Küche. Richtig lecker. Ich werde wiederkommen!
BE: Danke für den spannenden Mittag.