Auf Augenhöhe!? – China, Autoindustrie und das Bauen von Brücken

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Veröffentlicht:
8.8.2019
Aktualisiert:
7.9.2022

In der Automobilindustrie verdichtet sich, wie schwer sich der Westen tut mit seinem Verhältnis zu China. Und weil es derzeit um einen tiefgreifenden Technologie- und Strukturwandel im Mobilitätsmarkt geht, der Millionen Arbeitsplätze betrifft, ist das ein Thema, das weitreichende Bedeutung hat – und auch unsere Arbeit als Agentur, die seit 12 Jahren in China tätig ist und gleichzeitig oft im Automobilumfeld agiert, betrifft.

Als Li Shufu 2018 mit knapp zehn Prozent bei Daimler einstieg war das ein deutliches Zeichen für ein stärkeres Investment des Reichs der Mitte in der deutschen Industrie. Ein Zeichen von grundsätzlich anderer Bedeutung als das Aktienpaket, das die Saudis 1974 aus Kapitalinteresse erworben hatten.

Kurz zuvor, 2016, hatte Midea den größten deutschen Roboterhersteller Kuka aus Augsburg gekauft.

Wenn sich Auditoren aus China in Wolfsburg, München oder Stuttgart anmelden, gehen dort die Warnleuchten an. Beim deutschen TÜV oder in anderen deutschen Instituten zur Qualitätssicherung bestens ausgebildet, drehen die Chinesen den Spieß um. Früher waren es die Mitarbeiter und Repräsentanten der bewunderten deutschen Marken, die ihren ostasiatischen Kollegen Qualitätsmängel, zu geringe Ausbildung und wenig Prozesskontrolle vorhielten, heute schauen die Chinesen genau hin. Und drohen mit Marktentzug, wenn es Abweichungen von definierten Standards gibt.

China bleibt wichtiger Handelspartner

Eine Drohgebärde, die ihre Wirkung nicht verfehlen wird: 32,4 Prozent ihrer Neuwagen verkauften deutsche Autohersteller 2017 in China. 1983 rollte der erste VW Santana in Shanghai vom Band. Volkswagen betreibt heute 33 Produktionswerke in China, hat Joint Ventures mit SAIC VOLKSWAGEN in Shanghai, FAW-Volkswagen in Changchun und Anhui Jianghuai Automobile in Hefei.  Daimler konnte im letzten Jahr wieder aufholen und knapp 500.000 Autos absetzen. Mitbewerber BMW liegt jedoch auf Platz 1, vor allem durch den Verkauf seiner neuen SUV- Modelle.

Im Klartext bedeutet das: Jedes dritte Auto, das weltweit von einem deutschen Hersteller produziert wird, wird mittlerweile in China verkauft. Man kann die Bedeutung des dortigen Markts also gar nicht hoch genug einschätzen. Ohne China wären die immer neuen Rekorde der deutschen Autokonzerne in den vergangenen zehn Jahren kaum möglich gewesen. Doch: der Absatz geht zurück.

Denn die Konkurrenz in China hat nicht geschlafen. Inzwischen soll es 130 (!) Autohersteller im Reich der Mitte geben, überwiegend mit Elektro-Modellen. Das Land überspringt in der eigenen Produktion die Benzin- und Diesel-Motoren-Ära und hüpft damit direkt in die Zukunft der New Mobility (wie sie das schon mit Smartphone-Anwendungen vorgemacht haben). Die Marken heißen NIO, Byton, Geely, BYD, Great Wall Motor, Changhe, Dongfeng… – und: der E-Auto-Hersteller namens: Weltmeister! Einige haben bereits ihre Büros in Deutschland eröffnet und schielen auf die großen Messen in Frankfurt, Genf, Hannover. Wir kommen, lautet die Botschaft.

Lamentieren oder kooperieren und voneinander lernen

Unter Druck von den USA mit ihrem schrägen, aber supergefährlichen Handelskrieg-Präsidenten stellt sich die Frage, wie der chinesischen Herausforderung begegnen. Man kann weiterhin in Berichten über die „gelbe Gefahr“ lamentieren und den Kontroll-Wahnsinn der chinesischen Regierung beklagen. Bringen wird das nicht viel mehr als weitere Ängste vor der digitalen und globalen Zukunft.

Richtig, China ist keine Demokratie, Freiheit des Individuums wird nicht gefeiert und das Land macht sich imperialistisch überall breit. Andererseits kann man es dem Milliarden-Volk nicht verübeln, dass es auf Augenhöhe sein will. Chinesische Familien haben ihre Kinder nach Deutschland und in die USA zum Studieren geschickt, um das Familienwohl zu mehren – oder auch um dem autoritären Staat zu entfliehen.

Seit Jahren beobachten wir, wie in den Niederlassungen deutscher Unternehmen, immer mehr GM- und Marketing-Positionen von Chinesen besetzt werden. Das hat seine Berechtigung, denn sie kennen Land und Leute am besten. Oft verhalten sie sich jedoch ablehnend, wenn sie spüren, dass das Headquarter mehr Transparenz und Einfluss wünscht. Die deutschen Marketingteams wollen wissen was in Mandarin kommuniziert wird, die chinesischen Kollegen wollen nur Positives vermelden – ein Dialog über gemeinsames Lernen ist da schwierig. Zumal die Unternehmen noch immer wenig tun, um eine gemeinsame Verständigung zu fördern. Interkulturelle Kommunikation ist ein Randthema, das allenfalls zur Vorbereitung für Auslandsentsendungen eingesetzt wird. Für das Erarbeiten einer gemeinsamen Unternehmens-Story gibt es kaum Zeit oder Budget.

Die Rangeleien zwischen Mutter und Töchtern sind kein chinesisches Phänomen. Vor allem Mittelständler räumen ihren Niederlassungen viel Unabhängigkeit ein – was bei der Verantwortung für Umsatz und Gewinn durchaus ein Erfolgsfaktor ist, aber bei einheitlichem Branding und Kommunikation erhebliche Bremswirkungen verursacht.

Zwischen Zensur und Freiheit gibt es viele Nuancen

Schutz geistigen Eigentums, Zensur, Freiheitsrechte, Datensicherheit sind andere Themen, mit denen wir als Kommunikationsagentur konfrontiert sind. Ja, es gibt Einreiseverbote für Journalisten und bei jeder Delegationsreise mit Medien in China bibbern wir, ob wir mit Kamera-Ausrüstung bei jeder Polizeikontrolle durchkommen. Gleichzeitig gibt es auch bei den chinesischen Staatsmedien viele Journalisten mit hohem ethischem Anspruch, die ein realistisches Bild von der Gesellschaft zeichnen und kritisch über Missstände im Land berichten. Deutsche Journalisten, die bei chinesischen Medien gearbeitet haben, berichten von großen Freiräumen – mit dem Nachsatz: außerhalb der Politik- und Tabuthemen.

China ist keine offene Gesellschaft, hat andere Werte als westliche Kulturen. Wer sich von der Entwicklung in China anderes erhoffte, war ein Träumer. Spätestens mit der lebenslang garantierten Macht von Xi Jinping ist klar, dass die kommunistische Partei und ihr großer Vorsitzender Priorität in der Politik haben. Oft vergessen wir aber auch, dass das Reich der Mitte ein Vielvölkerstaat ist, mit eigenen und durchaus starken Regierungen, Sprachen, Kulturen, Religionen, eigene Radio- und Fernsehprogramme – nicht nur Hongkong, das in der Welt derzeit im Fokus steht, hat seine eigene Geschichte und kämpft um die eigene Kultur. Es wäre grundfalsch, die Mehrheit der chinesischen Bürger als Duckmäuser und unkritische Staatsdiener zu sehen. Daran werden auch mehr staatliche Reglementierungen nichts ändern, die in krassem Widerspruch zu den Bestrebungen um mehr Kreativität und Innovation stehen.

Wer mich kennt, weiß, dass Freiheit für mich ein unantastbares Menschenrecht ist. Ich beklage nicht kritische Berichte über die Entwicklung von China, aber China ist wahrlich mehr als Kontrolle und Überwachung. Wie immer gilt auch hier: Man muss die ganze Story verstehen – bevor man schnell verurteilt und schwarz-weiß malt.

Kommunikation baut Brücken statt Mauern

Kommunikation, davon bin ich absolut überzeugt, hat nicht die Aufgabe zu spalten, Un- und Missverständnisse zu vergrößern oder Gräben zu vertiefen. Im Gegenteil: Kommunikation ist Dialog. Ohne Kommunikation gibt es keine Demokratie – und keine Kooperation. Kooperation ist ein Überlebensprinzip der Menschheit, das wir dringender benötigen als je zuvor.

Mich interessiert: Was können wir von China lernen? Warum sind ihre Start-ups so mutig? Wie sehen sie die Zukunft? Ja, der chinesische Staat sammelt Unmengen an Daten. Jeder KI-Forscher weiß, dass Big Data die Basis für Forschungserfolge sind. Auch in Deutschland werden etwa für neue Verkehrsexperimente riesige Mengen an Daten erhoben – hier gehören sie den Konzernen und Instituten, die sie erheben, in China gehören sie dem Staat. Kann ich Großkonzernen per se mehr trauen?

China wird uns noch lange beschäftigen. Da gibt es genügend Stoff für hitzige Diskussionen – am besten mit Beteiligung beider Seiten. Nur wenn wir sie auf Augenhöhe führen, werden sie uns weiterbringen. Der Dialog hat erst begonnen.

PS: Puhhh, das ist ein langer Artikel geworden – ich bin auch nach 12 Jahren China-Geschäft immer noch keine tiefe China-Expertin, spreche selbst kein Mandarin. Aber ich bin regelmäßig dort und immer überwältigt vom Tempo der Veränderung, über die Freude am Experimentieren und wie schnell die Bevölkerung Neuerungen annimmt. Im September werde ich einige der kühnsten Start-ups besuchen. Ich berichte darüber, versprochen.

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